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Abitur 2023

Rede »Heinrich Mann«

18

 Jahre alt

April 2022

Status:

Privat

Ort/Land:

Hameln

DE

Index-No.:

N° 

20P

 

006

Kategorie:

Text

Subkategorie:

Rede

<span class="article-kicker">Geburtstagsrede</span>

Eröffnungsrede anlässlich des 150. Geburtstags von Heinrich Mann

Doch einmal wird das Letzte
Alles endet wenn dein grausames Rätsel sich vollendet
Denn Ach, du bist das Heilige, das verdirbt
Denn Ach, du bist das Leben, dran man stirbt

Dieses Gedicht von Heinrich Mann wurde, wie alle seine Schriften, im Februar 1933 von den Nationalsozialisten in die Flammen geworfen. Mann sollte im Auftrag Hitlers mundtot gemacht; sein öffentliches Wort demoralisiert, unterdrückt werden. Seine Stimme galt der Demokratie, dem Frieden und dem Weckruf gesellschaftsbedeutender Umstürze. Anlässlich seines 150. Geburtstags, heute, am 27. März 2021, gedenken wir mit der Ausstellung »Heinrich Mann – ein bedeutsames Leben in einer bedeutsamen Zeit« an den einstigen Schriftsteller, Humanisten, Demokraten, Europäer.

Doch nicht allein aus historischen Gründen ist diese Ehre Manns von Belang. Die Gegenwart stößt auf Angriffe unserer Demokratie, unserer Freiheit und damit auf das Gut unseres friedvollen Zusammenlebens. Es ist eine Gegenwart, in der das Miteinander unserer Gesellschaft von Hass und Hetze, von Rechts- und Linksextremismus bedroht, gar entzweit wird. In einer Zeit, in der geschichtliche Begebenheiten unter Einfluss unserer Realität zu einem neuen Gebilde aufflammen, ist Heinrich Mann von besonderer Aktualität.

Geboren wurde Heinrich Mann als erstes von fünf Kindern im Jahr 1871 in Lübeck. Sein Vater Kaufmann und einflussreicher Senator in der Hansestadt, heiratete seine aus Brasilien stammende Ehefrau Julia de Silva-Bruhns. Weit entfernt vom sozialen Druck des Alltags wuchs er in wohlhabenden Verhältnissen auf, lebte mit der Familie in einem eleganten Stadthaus und konnte von oben auf die Welt blicken. Schon früh beginnt Heinrich eigene Stücke zu schreiben, kleine Erzählungen zu verfassen. Drei Jahre nach ihm wird sein Bruder Thomas geboren, der sich noch an seinem älteren Bruder messen und ihn bald darauf in seiner gegenwärtigen Wahrnehmung überstrahlen wird.

Heinrich faszinieren schon in seiner Jugend die Orte, von denen er sich aufgrund seiner Herkunft fern halten sollte. Es sind die Hinterhöfe der Gesellschaft, die Bars und Bordelle, das Leben abseits des Bürgertums. Eine andere Schicht der Gesellschaft, anders als seine, für dessen Interesse er sich aus dem standesgeprägten Gesellschaftsbild seiner Familie entreißt. Mit Achtzehn setzt er sich mit dem bürgerlichen Liebesideal auseinander, durch welche Beobachtungen er noch sein Selbstbild formen sollte.

Für ihn sei die ewige Liebe um ihre Ewigkeit gebracht, Liebe sei eine Einbildung, sagte er einst. Er selbst erfährt sie anfangs nicht, sucht Bordelle auf und lernt die käufliche Seite ihrer kennen. Doch das grundständige Bedürfnis nach wirklicher Liebe trägt er mit sich und merkt, wie es mehr und mehr in ihm hervorkommt. Heinrich ist einfühlsam, ein Menschenfreund, ein Empath. Durch das Nachgehen seiner eigenen Ideale und der eigenen Liebe, lebt er das Leben eines unabhängigen Bohème. Ein Leben als Grenzüberschreiter, als Vordenker, als Vorbild.

Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1891 unternimmt Mann zahlreiche Reisen, vor allem nach Italien. Mit der Sehnsucht des Unbekannten erreicht er 1895 Rom, wo er sich mit seinem Bruder Thomas ein Jahr später in jungen Jahren wohl am Nächsten ist. Sie wohnten, arbeiteten, diskutierten zusammen, hatten gemeinsam Spaß. Heinrich zieht es einige Zeit später in die Bergregion Palestrina, die zum Schauplatz seines Romans »Die kleine Stadt« wird. In diesem Werk gestaltet er das Verständnis von gelebter Demokratie im kleinsten, kommunal gelebten Kreis. Adel, Klerus und Bürgertum stellt er gleich, verschafft allen eine gehörte Stimme. Es ist die Utopie der vollendeten Demokratie und das Abbild Heinrichs früher, europäischer Vision.

Doch mit seinem wohl bekanntesten Roman, »Der Untertan«, übt er äußerst brisante Gesellschaftskritik und rechnet mit dem zugespitzten Wilhelminismus ab. Das satirische Porträt handelt vom Antihelden Diedrich Heßling, der die Macht des Obrigkeitsstaates verehrt. Demütig unterwirft er sich dem Kaiser, gnadenlos unterwirft er andere. Durch Heßlings williges Beugen vor der Staatsmacht, hochmütigen Opportunismus und die beständige Treue zum Kaiser wird er zum angesehenen Bürger und Fabrikanten.

Mann skizziert einen Untertanen der Macht. Einen, der sich inmitten einer moralisch verkommenen Gesellschaft der Obrigkeit fügt und Nationalismus, Militarismus und Scheinheiligkeit gleichermaßen zum Inhalt seines Charakters macht. Die Pointe jedoch liegt in der gar prophetischen Entfaltung des Werkes vor Anbruch des ersten Weltkrieges. Denn Manns Roman scheint, im Nachgang zu seiner Veröffentlichung im Jahr 1918, den Nationalsozialismus vorherzusagen, gar konstitutiv zu resümieren, und mit Heßling einen Nazi-Mittäter konstruiert zu haben.


Das Ausüben gesellschaftlicher Kritik, das Urteilen über politische Realität und das Verteidigen der Demokratie führten mit Anbeginn der NS-Zeit zur Vernichtung von Manns Schriften und seiner lebenslangen Verfolgung. Heute finden sich die Schriften Manns auf dem ganzen Globus, verteilt durch seine immer neuen Bemühungen der Flucht. Los Angeles, Prag, Moskau – Orte, an denen zurückgelassene Schriftstücke Manns gefunden wurden.

»Um seine Erlebensfähigkeit zu üben, muss man vor allem leben, und die Tat ist so lebensgefährlich.«

Dieses Zitat aus Manns bekanntestem Werk verdeutlicht die Persönlichkeit des Schriftstellers im Angesicht seiner heutigen Wahrnehmung. Heinrich Mann wurde zum Chronisten der 1920er. Er warnte, kritisierte, überschritt Grenzen der damaligen Zeit. Er war Humanist, Schriftsteller, radikaler Demokrat, Europäer. Mann hat in einer Zeit für die Demokratie gekämpft, in der es nur wenige, überzeugte Demokraten gab. Er ist ein Leuchtturm der Geschichte Deutschlands und verdeutlicht noch heute, welches freiheitsrelevante Fundament unserem Leben zugrunde liegen sollte.

Norbert Busè, der Produzent eines Dokumentarfilmes über die Geschichte von Heinrich Mann, nannte ihn den »unbekannten Rebellen«. Eine Beschreibung seiner Person, die treffender nicht sein könnte.